Die Macht der sozialen Medien: Zwischen Verlockung und Wirklichkeit
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Jessica Prinz
- Jessica Prinz
Die sozialen Medien ziehen uns in ihren Bann und spiegeln dabei die Ambivalenz unserer digitalen Existenz wider. Wie schafft man es, die Balance zu halten zwischen virtueller Euphorie und realer Einsicht?
Kürzlich postete ich zum allerersten Mal einen WhatsApp-Status. Es ging um eine dieser Bücherrundsendungen, die im Internet kursieren – ein Schneeballsystem der Literatur. Man schickt ein Buch an eine Person und bekommt im Gegenzug zahlreiche Bücher von anderen zurück. In einer impulsiven Minute sagte ich zu. Ein Rückzieher war undenkbar. Dafür wäre mein schlechtes Gewissen zu gross gewesen.
Je grösser die Bubble, umso leichter fällt es, sich zu öffnen
Prompt erreichten mich Reaktionen in meinem virtuellen Posteingang. Manche belächelten mich wegen meiner Teilnahme, andere zweifelten am Konzept, und wieder andere waren interessiert, zogen aber zurück, als sie erfuhren, was sie dafür tun mussten – nämlich ihrerseits einen WhatsApp-Status posten. Mir war das Ganze relativ unangenehm. Das Prinzip des virtuellen Contents, der nach 24 Stunden wieder verschwindet, ist mir von Instagram und Co. natürlich gut bekannt. Ich nutze die Funktion selbst regelmässig und fühle mich uneingeschränkt wohl dabei, auch Privates zu posten. Auf WhatsApp etwas zu teilen, für Menschen, mit denen ich im echten Leben regelmässig zu tun habe oder hatte – da war die Hürde plötzlich grösser.
Es scheint: Je grösser die Bubble, umso leichter fällt es, sich zu öffnen. Was irgendwie absurd ist.
Diese These erklärt für mich ansatzweise die diversen Absagen, die ich von Influencerinnen auf meine Anfrage für ein Porträt bekommen habe. Im Rahmen der Ausstellung «Was Macht mit uns macht» im Vögele Kultur Zentrum durfte ich für das begleitende Bulletin eine Serie erstellen. Darin zeige ich Menschen, die durch ihr Machen Macht erlangen – auch wenn sie sich selbst nicht als mächtig bezeichnen würden. Eine der Porträtierten sollte eine Influencerin sein. Nach anfänglichem Interesse und mehrmaligem Hin und Her, hatten die allermeisten dann doch «keine Kapazität», zu reflektieren, in welcher Machtposition man sich als Influencerin befindet.
Der schmale Grat zwischen Authentizität und Inszenierung
Die Stars der sozialen Medien, die oft Hunderttausende von Followern haben, üben eine grosse Anziehungskraft aus und können ganze Branchen und Märkte beeinflussen. Gleichzeitig stehen Influencerinnen unter einem enormen Druck, ständig präsent zu sein, ihr Image zu pflegen und den Erwartungen ihrer Fans gerecht zu werden. Der Grat zwischen Authentizität und Inszenierung ist schmal, nicht selten führt der Druck zu einem Verlust der eigenen Identität und zu psychischen Belastungen. Damit kennt sich auch Silvia Jäggi aus, die sich schliesslich bereit erklärte, mit mir zu sprechen. Sie hatte auf Instagram und Tiktok zeitweise grossen Einfluss auf jüngere Generationen – auch wenn sie sich selbst nie als Influencerin bezeichnen würde. Mit ihrem Spruch «Hallo zäme – geits bi öich?» wurde sie berühmt. Täglich postete sie motivierende und inspirierende Videos, die jungen Menschen und Suchtbetroffenen Mut machen sollen. Sie selbst hat sich mittlerweile aus Selbstschutz mehrheitlich von Social Media abgewendet. Dennoch ist sie überzeugt von den diversen Plattformen. «Social-Media-Plattformen können viel bewegen, gutes und schlechtes. Man kann sich in der Scheinwelt durchaus verlieren. Trotzdem bin ich von ihren Vorteilen überzeugt. Mir selbst tut es gut, zu merken, dass ich mit meinen Ängsten und Problemen nicht allein bin», sagt die Mutter eines Teenagers.
Ohne persönlichen Kontakt bleibt das Vertrauen brüchig
Der deutsche Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs betonte kürzlich in der Sternstunde Philosophie des SRF, dass diese digitalen Hilfsmittel durchaus für vieles sehr praktisch sein können. Man lerne zum Beispiel Menschen kennen, die man im echten Leben wohl nie getroffen hätte. Es sei aber besonders wichtig, sich auch wieder aus der virtuellen Welt heraus zu begeben. «(Physische) Berührung ist fundamental wichtig, das haben wir während Corona extrem erfahren. Wenn diese fehlt, bleibt das Vertrauen brüchig. Ohne die wirkliche Beziehung, die sich mal entwickelt hat, bleibt das Bild auf dem Screen nur ein Scheinbild.» Und auch wenn man über Facetime miteinander spreche, so könne man sich nicht in die Augen schauen: man blickt entweder in die Kamera oder auf den Bildschirm, um die andere Person (oder etwa doch sich selbst?) anzuschauen. «In Wahrheit blickt uns aus einem Smartphone niemand an», stellt Fuchs fest.
“Vielleicht hilft es, die sozialen Medien neutraler zu betrachten. Als eine Art Spielplatz, auf dem man sich austoben kann.”
Es ist unbestreitbar, dass die sozialen Medien eine enorme Macht auf uns ausüben. Und es ist unvorhersehbar, in welche Richtung die Entwicklung geht. Die Frage – und da muss man wohl bei sich selbst anfangen – ist eher, wie man persönlich damit umgeht. Das sagt auch die Journalistin und Autorin Anna Miller, die sich für digitale Achtsamkeit stark macht: Sie betont, wie wichtig es ist, sich bewusst zu machen, wie man sich fühlt, wenn man ständig mit Informationen und Reizen überflutet wird. Vielleicht hilft es, die sozialen Medien neutraler zu betrachten. Als eine Art Spielplatz, auf dem man sich austoben kann. Wo wir uns inspirieren lassen, von anderen lernen, uns etwas abschauen können. Und an dem wir uns bewusst werden, dass es nicht so schlimm ist, wenn wir mal hinfallen – wenn man Follower verliert oder jemandem auf die Füsse tritt. Die Schnelllebigkeit hat schliesslich auch Vorteile – und morgen spricht man schon über den nächsten WhatsApp-Status.