Essen ist Politik!
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Boris Halva
- Boris Halva
Der Schweizer David Höner will Frieden stiften – und kocht deshalb mit Menschen in Krisengebieten. Ein Gespräch über Nahrung für die Seele und seinen Beitrag zur Entwicklungshilfe.
David Höner hat was Raues, Ehrfurcht Einflössendes an sich. Das mag an seiner Grösse und der Ruhe liegen, die er ausstrahlt. Am ehesten wohl aber daran, dass er schon so viel gesehen hat von der Welt. Gesehen im Sinne von: Gespürt. Erlebt. Gemacht. Seit 15 Jahren engagiert er sich mit seinem Verein «Cuisine sans frontières» für den Frieden und ein besseres Leben der Menschen in Krisengebieten – weltweit. Die Idee: Mit den Menschen kochen, sie an einen Tisch bringen, nicht nur, um sie satt zu machen, sondern um ihnen das Gespräch in einem friedlichen, von Respekt und Fürsorge getragenen Umfeld zu ermöglichen. Über die Projekte seines Vereins in Lateinamerika, Afrika und entlegenen Regionen Europas hat David Höner ein Buch geschrieben: Kochen ist Politik ist ein Sachbuch über den Aufbau eines Vereins und die Konzeption von Entwicklungshilfeprojekten im Kleinen.
Boris Halva: Herr Höner, warum ist Kochen Politik?
David Höner: Man darf nicht vergessen: Das Gastgewerbe ist der grösste Arbeitgeber der Welt. Essen, Trinken und die Produktion von Lebensmitteln sind nicht nur wichtige Bestand teile unseres täglichen Lebens, sondern auch ein wichtiges Geschäft für grosse Unternehmen, die sich damit eine goldene Nase verdienen. Darüber hinaus: Mit allem, was wir essen, prägen wir das Weltgeschehen ein wenig mit.
Wann haben Sie gemerkt, dass gemeinsam Essen auch ein Weg sein kann, Konflikte beizulegen?
Ich arbeitete lange als Autor im Foodbereich und war oft auf Reisen. Eines Tages erhielt ich den Auftrag, über die Kokainbekämpfung in Kolumbien zu schreiben und kam so zum ersten Mal in meinem Leben in ein wirkliches Kriegsgebiet. Und mir fiel auf: Was Kriege oder bewaffnete Konflikte zerstören, betrifft vor allem die Menschen, die nicht an den Kämpfen beteiligt sind. Die Zivilgesellschaft zerfällt, es gibt keine Treffpunkte mehr. Und Treffpunkte sind bei uns, wo wir leben, vor allem Kneipen, Restaurants oder Gasthäuser. Dort treffen wir uns, trinken was, wir tanzen und verlieben uns. Geselligkeit ist Bestandteil vieler Kulturen, aber in Kriegs- und Krisengebieten gibt es diese Treffpunkte nicht mehr. Also haben wir uns gesagt, wir eröffnen jetzt Kneipen, wo niemand sonst eine Kneipe eröffnen will.
Das war die Geburtsstunde der «Cuisine sans frontières» – aber so einfach, wie es sich anhört, war es dann doch nicht…
Wir waren blauäugig, vor knapp 15 Jahren im Putumayo, und sind sehr schnell auf die Schnauze gefallen. Nach zehn Tagen, als wir dort unsere Arbeit aufnehmen wollten, kamen Menschen, die die Gegend kannten, zu uns und sagten: Ihr müsst sofort verschwinden hier! Heute weiss ich, dass ich es nur dem Zufall zu verdanken habe, dass man mich nicht erschossen hat.
Hinschmeissen wollten Sie trotzdem nicht?
Nein, denn ich habe damals gespürt, dass wir mit unseren Plänen einen Nerv treffen. Nur hatten wir eben noch nicht genug Erfahrung und Know-how, um diese Idee der Friedensküche an einem Ort zu verwirklichen, an dem es wirklich heikel ist. Wir versuchten es in Kolumbien ein Jahr später an einem anderen Ort. Und konnten dann bleiben. Seither haben wir nach und nach Erfahrung gesammelt, mit unseren Projekten im Kongo, in Kenia und in Brasilien.
“Was Kriege oder bewaffnete Konflikte zerstören, betrifft vor allem die Menschen, die nicht an den Kämpfen beteiligt sind. Die Zivilgesellschaft zerfällt, es gibt keine Treffpunkte mehr... also haben wir uns gesagt, wir eröffnen jetzt Kneipen, wo sonst niemand eine Kneipe eröffnen will.”
Wie muss man sich das vorstellen, wie Sie mit Ihrer Küche ohne Grenzen ein Projekt angehen? Sie können ja nicht einfach irgendwo einen Gaskocher aufstellen und sagen: So, wir kochen jetzt mal was und dann wird alles gut!
Als wir unser zweites Projekt in San Josecito in Kolumbien begonnen hatten, kam der Jesuitenpater, der die Gemeinde begleitet, auf uns zu und sagte: Köche? Was wollt ihr denn hier? Wir bauten zuerst eine Schulküche, daraus hat sich ein Restaurant entwickelt, in dem sich die Dorfbewohner treffen konnten. Nach einem halben Jahr kam der Pater wieder zu uns und sagte: Ihr habt das ganze Dorf verändert, die Kinder sind besser ernährt und die Menschen haben einen Ort, an dem sie sich treffen können. Das hat uns bestätigt, dass diese Idee tatsächlich funktioniert, in kleinen Schritten ein Gemeinschaftsleben wie der herzustellen. San Josecito liegt in einer Gegend, in der seit Jahren Militärs und Guerilla einander bekämpfen und es unzählige zivile Opfer gibt, zuvor war dort jeder zweite Mann getötet worden.
Wie steht es heute um San Josecito?
Sie können hinfahren und in dem Restaurant etwas essen. Aber heute sind nicht mehr wir dort verantwortlich, die Leute im Dorf haben das Restaurant übernommen. Wir überwiesen ein paar Jahre kleinere Beträge an die Betreiber, damit sie Löhne bezahlen oder Ausgaben ausgleichen konnten. Aber jetzt ist es selbsttragend.
“Nach einem halben Jahr kam der Pater zu uns sagte: Ihr habt das ganze Dorf verändert, die Kinder sind jetzt ernährt und die Menschen haben einen Ort, an dem sie sich treffen können. Das hat uns bestätigt, dass diese Idee tatsächlich funktioniert.”
Wie entstehen die Projekte? Wenden sich die Menschen an Sie – oder finden Sie neue Aufgaben, wenn Sie unterwegs sind?
In den ersten Jahren suchten wir die Projekte selbst aus. Elementar wichtig für ein Engagement sind unsere eigene Sicherheit und ein lokaler Partner: In Salvador de Bahia in Brasilien eröffneten wir beispielsweise eine Kneipe mit einem Frauenverein. Seit etwa zehn Jahren werden wir von Interessierten angefragt. Danach entscheiden wir, je nach unseren personellen und finanziellen Möglichkeiten, ob wir uns engagieren. Wir arbeiten ja alle ehrenamtlich – unsere Kräfte sind nicht unerschöpflich.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Arbeit Ihres Vereins, aber es steckt auch voll kritischer Anmerkungen. Die internationale Entwicklungspolitik etwa bezeichnen Sie als «Entwicklungsindustrie».
Anders als bei manchen staatlich organisierten Programmen geht es uns nicht darum, irgendwo hinzugehen und den Menschen zu sagen, was sie zu tun haben. Uns geht es stattdessen darum, hinzugehen und zu fragen: Was können wir zusammen tun? Um diese Gespräche in Gang zu bringen, dafür gründen wir die Restaurants. Wir bringen Menschen zusammen – und dann entwickelt sich etwas. An dem einen Ort wird eine Art Kulturzentrum gebraucht, an einem anderen Ort fehlt eine Einrichtung, in der man Essen für Kinder oder alte Menschen ausgeben kann. Das ist immer wieder anders.
Und das macht die «Entwicklungsindustrie» anders?
Meine Kritik setzt genau dort an: Es werden immer riesige Programme gefahren, mit viel Geld im Hintergrund. Diese Programme dienen nicht dazu, gemeinsam mit den Menschen etwas aufzubauen, sondern dienen dazu, den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben – damit sie in unser globales Wirtschaftsgefüge passen.
“Ich gehe nicht als Koch dahin, ich gehe als Gastgeber zu ihnen. Als Mensch, der einen Raum öffnet, damit die Menschen dort Ihr Essen zubereiten können.”
Gibt es Rezepte für den Frieden, die überall funktionieren?
Essen ist Identität, Essen ist das Eigene. Kochen ist das, was wir von unseren Eltern oder Grosseltern gelernt haben, da ist ganz viel Gefühl drin. Wenn ich jetzt im North West Rift Valley in Kenia eine Rösti mache, dann finden die das vielleicht interessant, aber das hat nichts mit dem Ort, nichts mit deren Kultur zu tun. Die Menschen dort möchten gerne ihre eigenen Speisen haben, sie möchten eine Ziege schlachten am Feiertag oder Bohnen und Mais kochen. Das ist ein Fehler, den ich anfangs gemacht habe: Ich kam irgendwo hin und dachte mir, jetzt kochen wir mal was Schönes für die Leute. Heute weiss ich, was es bedeutet, das eigene Essen zu essen und nicht die Sachen aus den Care-Paketen von Entwicklungsdiensten.
Was ist verkehrt an den Paketen?
Sie sind natürlich ein Segen, aber oftmals falsch gepackt. Das sehen wir auch in Flüchtlingslagern, etwa im Libanon, wo wir gerade ein Projekt aufbauen: Die Menschen haben das Bedürfnis, für sich selbst zu kochen, ihr eigenes Ding zu machen, denn das eigene Essen ist auch Trost. Ich gehe nicht als Koch dahin, ich gehe als Gastgeber zu ihnen. Als Mensch, der einen Raum öffnet, damit die Menschen dort ihr Essen zubereiten können.
Erzählen Sie uns noch von Ihren Plänen, was die Cuisine betrifft?
Unser Verein wird weiterhin an abgelegenen Orten oder Orten, an denen es den Menschen nicht so gut geht, seine Restaurants aufmachen. Die Botschaft, die ich verbreiten möchte, ist: Jeder kann etwas tun. Jeder hat eine Fähigkeit, die er teilen kann. Diese menschliche Empathie, dieses Zusammen-etwas-Tun, das ist der Weg, wie wir die Welt tatsächlich ein bisschen verbessern können. Darin liegt die Bot schaft unserer Cuisine: zusammenzusitzen, etwas zu essen und gemeinsam zu überlegen, was wir tun können – ohne über Gewinn und Verlust und das Preis-Leistungs- Verhältnis zu diskutieren.
Das Interview erschien im Vögele Kultur Bulletin anlässlich der Ausstellung Zu Tisch. Unsere Ernährung: Lust, Druck und Verantwortung. Das Bulletin #110 kann hier bestellt werden.